Die WHO prognostiziert, dass die psychischen Erkrankungen bis zum Jahr 2030 zu den 5 größten gesundheitlichen Belastungen zählen werden. Laut dem Depressionsbericht Österreich (Oktober 2019) leiden 6,5 Prozent der erwachsenen österreichischen Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer depressiven Erkrankung. Frauen sind mit 6,8 Prozent häufiger betroffen als Männer mit 6,3 Prozent. Die Anzahl der Krankenstandstage und die Zuerkennungen von Invaliditätspensionen aufgrund von psychischen Erkrankungen haben sich in Österreich seit Mitte der 90er Jahre etwa verdreifacht.
Es ist aber davon auszugehen, dass in der Realität noch wesentlich mehr Österreicherinnen und Österreicher als bisher angenommen von psychischen Erkrankungen betroffen sind, denn bedauerlicherweise stellen diese in unserer Gesellschaft noch immer ein tabuisiertes Thema dar. Psychische Erkrankungen verursachen großes Leid, viele Todesfälle und eine hohe Beanspruchung des Gesundheits- und Sozialsystems. Aus diesem Grund sind präventive Konzepte sowohl von einem ethischen als auch ökonomischen Standpunkt geboten.
Da es bei psychischen Erkrankungen sehr rasch um den persönlichen und intimen Bereich von Menschen und ihren Beziehungen geht, entsteht ein Bedürfnis nach Schutz und Betroffene erleben Gefühle von Beschämung und Angst vor Bewertung. Dies ist ein natürliches Phänomen und erfordert, stets mit Bedacht auf persönliche Grenzen vorzugehen. Keinesfalls darf es aber als Rechtfertigung dafür dienen, psychische Erkrankungen zu tabuisieren und nur im persönlichen Verantwortungsbereich anzusiedeln und sich als Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft nicht dafür verantwortlich zu fühlen.
Ziel ist es, dass psychische Gesundheit in der Familie, in Bildungseinrichtungen, am Arbeitsplatz, in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen, in Vereinen usw. einen Stellenwert wie der Brandschutz, der Datenschutz, die Zahngesundheit, die Verkehrssicherheit etc. hat.
Auch im betrieblichen Umfeld sind psychische Belastungen nach wie vor ein Tabuthema: Nicht einmal drei Viertel der Befragten einer online Studie (Berufsverband österr. Psychologinnen und Psychologen, 2020) würden im Familien- und Freundeskreis und nur 21 Prozent der Befragten würden im Arbeitsumfeld von einer psychischen Erkrankung erzählen.
Doch gerade Arbeitsbedingungen beeinflussen die psychische Gesundheit in sehr hohem Ausmaß. So weist die OECD auf eine hohe Arbeitsbelastung in puncto Stress und psychischer Belastung in Österreich hin. Salzburger Daten aus dem Arbeitsklimaindex belegen, dass beinahe die Hälfte aller Beschäftigten (44 Prozent) bei der Arbeit regelmäßig unter Stress leidet.
Um auch in der Arbeitswelt präventiv stärker wirksam werden zu können, bedarf es gesundheitsfördernden, psychisch nicht belastender Gestaltung von Arbeit. Dazu gilt es die entsprechenden Fachexpert*innen durch die Einführung einer 3. Präventivfachdisziplin, konkret der Arbeitspsychologie, in der betrieblichen Prävention zu verankern.
Frühe Kindheitserfahrungen (Liebe, Sicherheit, Geborgenheit, Zuwendung, Stabilität, Zärtlichkeit) bestimmen ganz wesentlich unsere Persönlichkeitsstruktur und unser späteres Wohlbefinden und psychosoziales Verhalten als Erwachsene.
Eltern gelingt es für gewöhnlich gut, die Grundbedürfnisse ihrer Kinder nach Schutz, Anregung und Begleitung zu beantworten und sich Rat bei Unsicherheiten und Zweifel in die eigene Erziehungskompetenz zu holen. Eltern mit psychischen Erkrankungen – ob punktuell oder chronisch – sind dazu oft nur begrenzt in der Lage und benötigen Hilfe von aussen. Damit könnte Kindern in belasteten Familien (jedes 6. Kind in Österreich ist betroffen) ihre Kindheit erleichtert und ein gesundes Aufwachsen ermöglicht werden.
Psychische Störungen sind mit einem hohen Risiko oft lebenslanger Einschränkungen verbunden, die je nach Erkrankung und Lebensphase variieren. 75 Prozent aller psychischen Störungen zeigen sich erstmals bis zum jungen Erwachsenenalter. Gerade in dieser besonderen und fordernden Lebensphase können sie betroffene junge Menschen daran hindern, ihre Bildungs- und Berufsabschlüsse zu erreichen. Das kann in Folge zu geringerem beruflichen Fortkommen (und Einkommen) sowie zu Arbeitslosigkeit führen. Die Persönlichkeitsentwicklung insgesamt ist beeinträchtigt und das soziale Leben – erste Partnerschaften bis zu Familiengründungen – können darunter leiden. Umso bedeutsamer sind Verständnis, zielführende Hilfen und professionelle Behandlung im Kindes- und Jugendalter.
Da sich in der Medizin und der Gesundheitspolitik eine gewisse Fokussierung auf den körperlichen Aspekt der Gesundheit eingestellt hat, wird auch im öffentlichen Diskurs die psychische Gesundheit mehr als persönliches Problemfeld, denn als strukturelles, gesellschaftliches Problem dessen Ursachen in Lebens- und Arbeitsbedingungen liegen, gesehen. Erst bei genauerem Blick auf Antragstellungen für Invaliditätspension, bei Langzeitkrankenständen und Langzeitarbeitslosigkeit wird klar, wie relevant das Thema der psychisch belastenden Rahmenbedingungen in der Entwicklung war. Da zu diesem Zeitpunkt oft eine hohe Chronifizierung eingetreten ist, braucht es Präventions- Früherkennungs- und Frühinterventionsstrategien. Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass diese im Gegensatz zu Interventionen bei hoher Chronifizierung eine hohe Effizienz und Nachhaltigkeit aufweisen.
Ein wesentliches Problem bei der psychosozialen Versorgung in Österreich ist, dass die hohen Behandlungskosten oft ein Grund dafür sind, dass Betroffene keine bedarfsgerechte Behandlung erhalten. Eine aktuelle Studie des Berufsverbandes Österreichischer Psychologinnen und Psychologen vom Juni 2020 zeigt, dass rund 65 Prozent der Befragten sich eine selbstfinanzierte Behandlung gar nicht leisten könnten.
Die Diagnose und Behandlung von psychischen Erkrankungen muss in ihren Zugangsmöglichkeiten und Kosten den „anderen Erkrankungen“ gleichgestellt sein. Das Gesundheits- und Sozialsystem muss die speziellen Bedürfnisse von Betroffenen beachten und Zugänge möglichst niederschwellig gestalten. Gesellschaftlich sollte, sich um seine psychische Gesundheit zu kümmern, so selbst verständlich und so gut möglich sein, wie sich die Zähne zu putzen oder sich im Auto anzugurten.
Wir unterstützen mit Information, Wissensvermittlung und Vernetzungsarbeit und fordern, dass diese Verantwortung nicht nur vom Individuum, sondern auch von staatlich-politischer Seite, der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft wahrgenommen wird.
Wir beraten Entscheidungsträger*innen bei der Entwicklung von Rahmenbedingungen zum Erhalt der psychischen Gesundheit und treten für einen offenen Dialog ein.
Forderungen des Kuratoriums für psychische Gesundheit
Auch bei psychischen Erkrankungen ist frühes Erkennen und Behandeln wichtig und wirksam. Damit ist die Chance gross, einen ungünstigen Verlauf abzumildern oder einen chronischen Krankheitsverlauf zu verhindern. Der Schlüssel zur selektiven Erreichung dieser vulnerablen Personen ist eine gut ausgebaute universelle Prävention; Österreich verfügt über ausgezeichnete Programme zur Lebenskompetenzförderung als ressourcenorientierte Vorbeugung von Abhängigkeiten, Gewalt, Suizid, Angststörungen u.a. psychischen Erkrankungen. Die landesweite, verstetigte Anwendung von qualitätsgesicherten Präventionsprogrammen und –Projekten für alle Kinder und Jugendliche in Freizeit-, Bildungs- und Betreuungseinrichtungen setzen wir uns zum Ziel.
Kuratorium psychische Gesundheit Salzburg, Juni 2022